
Die Villa Cassel ist jetzt klimaneutral – dem Gletscher zu liebe
von Urs Huebscher
- Dezember 24, 2019
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Hoch oben auf der Riederfurka, dem Berggrat zwischen Aletschgletscher und Riederalp, thront ein – man möchte fast sagen: Märchenschloss. Die Villa Cassel, ursprünglich Sommerresidenz eines reichen Londoner Bankiers, beherbergt heute das Pro Natura Zentrum Aletsch in der Aletsch Arena. Nach aufwändigen Sanierungsarbeiten wird die Villa am 12. Juni 2020 wiedereröffnet – jetzt klimaneutral, mit einer Ausstellung zu Gletscher und Klimawandel und dem bezaubernden historischen Speisesaal in neuer Pracht.
Wenn man von der Riederalp den Wanderweg zur Riederfurka hinaufsteigt, ist man zunächst mal ein wenig ge-fordert: Es ist nicht nur der Anstieg, der einem hier oben, auf 2000 Metern Meereshöhe, gemächliche Schritte und gleichmässige Atemzüge abverlangt. Jetzt, im Frühling, hat man zudem die eine oder andere übrig gebliebene Schneewehe vom letzten Winter zu durchstapfen. Umso erhebender und grossartiger ist die Aussicht, die schon beim Aussteigen aus der Luftseilbahn in Riederalp West so manchem das Herz hüpfen lässt: Man blickt hinab ins Tal der jungen Rhone und sieht hoch oben über der anderen Talseite die tief verschneiten Viertausender des Wal-lis glitzern. Auf dem Weg hinauf zur Riederfurka, der bei gemütlichem Schritt im übrigen von jedem Fussgänger gut zu bewältigen ist, ändert sich dann das Panorama mit jeder noch so kleinen Kehre. Man hält immer wieder inne, verschnauft und lässt statt der Füsse den Blick wandern – über die Bergzacken am Horizont. Und dann, ganz plötzlich, entdeckt man sie: Wären wir in der Wüste, würde man wahrscheinlich an eine Fata Morgana glauben, so unwirklich steht die Villa Cassel mit ihren glänzenden, noch taufrisch kupferbeschlagenen Türmchen mitten in der wilden Berglandschaft. Wie aus der Zeit gefallen kommt sie daher, doch das dachten sich die Leute wahrscheinlich schon damals, als Sir Ernest Cassel 1902 sein ungewöhnliches Sommerhaus einweihte.
Der englische Patient verliebt sich in die Riederfurka
Der englische Millionär, 1852 in Köln geboren und später als Bankier in London zu Geld und Adelstitel gekommen, wurde im Juli 1895 von seinem Leibarzt zur Erholung auf die Riederfurka geschickt. Der kluge Doktor Broadbent hatte für seinen Patienten nicht etwa Chamonix, Davos oder St. Moritz ausgewählt, wo der alpine Sommer-Tourismus bereits etabliert war. Nein, das Aletschgebiet sollte es sein, Cassel sollte absolute Ruhe haben – auch wenn er das zunächst nicht wirklich zu schätzen wusste: Eine Zumutung seien die einfachen Schlafkammern, das Hotel unmöglich, telegrafierte er nach London. Nachdem der Arzt mit dem Abbruch der Behandlung drohte, fügte sich der Patient, begann zu wandern und lernte den mächtigen Gletscher, den Duft des Aletschwaldes mit seinen uralten Arven, die fast Ohren betäubende Ruhe und die Frische der Bergluft lieben. So sehr, dass er im nächsten Jahr gleich wiederkam, und fünf Jahre später begann, auf der Riederfurka eine elegante Stadtvilla mit steilen Dächern, Fachwerk und Sonnenterrasse zu bauen. Mit Hilfe der Bergbauern und ihrer Maulesel wurde sämtliches Material heraufgebracht und trotz dieser Herkulesaufgabe konnte Cassel bereits nach zwei Jahren, im Sommer 1902, die feine Londoner Gesellschaft ins Wallis einladen.
Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges verbrachte der Bankier von nun an seine Sommerferien im Wallis. Nach seinem Tod 1921 erbte seine Enkelin die Villa, die später zum Hotel wurde und 1976 schliesslich zum ersten Natur-schutzzentrum der Schweiz.
Das erste Naturschutzzentrum der Schweiz wird klimaneutral
Dieses leitet seit nunmehr 30 Jahren Laudo Albrecht, dem man die Freude darüber ansieht, das Pro Natura Zent-rum Aletsch bald als klimaneutrales Leuchtturmprojekt wieder eröffnen zu können: „Bisher haben wir die Villa Cassel mit Öl beheizt“, erzählt er. „Und eine Ölheizung ist jetzt nicht gerade das, was man als klimaneutral be-zeichnen würde… Wir haben uns also gefragt: Was können wir denn machen, hier auf 2100 Metern über dem Meer?“ Wenn Laudo von seinen Überlegungen spricht, merkt man, dass es ihm um das Grosse Ganze geht – schliesslich liegt jenseits des uralten Arvenwaldes der 22,6 Kilometer lange Aletschgletscher, der grösste Eisstrom der Alpen, der mit jedem Jahr beträchtlich an Masse verliert. „Wir haben uns vorgenommen ein Vorzeigebetrieb zu werden – das verpflichtet“, sagt der Zentrumsleiter. „Den Besuchern wollen wir damit zeigen: Hey, schaut her, das funktioniert! Sogar auf über 2000 Metern über dem Meer kann man das klimaneutral machen.“
Ein Team aus Bauphysikern, dem Architekten und Heizungsspezialisten hatte ausgerechnet, dass eine Luft-Wasser-Wärmepumpe für Heizung und Brauchwasser das Sinnvollste ist. „Diese Pumpe braucht natürlich wieder Energie“, erklärt Laudo, „und die produziert uns die Sonne: In Ried-Mörel haben wir jetzt eine Photovoltaikanlage gebaut, die den gesamten Strombedarf des Zentrums abdeckt. Ausserdem haben wir das Dach komplett neu gemacht und sehr gut gedämmt – und in die Hohlräume hinter der Denkmal geschützten Fassade haben wir Dämmstoffe geblasen. Das ist nicht komplett dicht – das geht bei einem solchen, historischen Gebäude einfach nicht – aber das gleichen wir aus, indem wir ein bisschen mehr Solarenergie produzieren.“ Bei 300 Sonnentagen im Jahr sollte das gut funktionieren.
Alles hängt zusammen: Klima, Gletscher, Heizung und Bio-Lebensmittel
Laudo nimmt einen Schluck Wasser – es kann warm sein an einem Frühlingstag auf der Riederfurka – und spricht von der neuen Ausstellung, dem „Informations- und Vermittlungsraum“ im Untergeschoss der Villa: „Hier werden in Zukunft unsere Exkursionen beginnen oder enden“, erklärt er. „Die Wanderung zum Thema «Wasser» entlang der Suonen etwa, fängt dann hier bei unserem Modell des Aletschgletschers an. Oder eine Exkursion zur Moosfluh mit den Hangrutschungen, bei der die Leute sehen, dass der Hang rutscht, weil der Gletscher schmilzt: Da kom-men wir dann am Schluss hierher und zeigen, was wir hier fürs Klima machen – dazu gehört auch Essen aus nach-haltigen Lebensmitteln.“
Das gibt’s dann für alle im wunderschönen holzvertäfelten historischen Speisesaal, der jetzt mehr Platz hat, da die Ausstellung ins Untergeschoss gewandert ist. „Früher musste dort ein Teil der Gäste essen, da gab’s dann oft lange Gesichter“, erinnert sich Laudo. „Jetzt haben wir zum Glück keine „Zweiklassengesellschaft“ mehr…, sagt er, grinst und schaut hinüber zum hauseigenen Alpengarten. Dort steht seine Frau Isabella und macht gerade eine Schulklasse mit heimischen Pflanzen bekannt. Manche davon kann man essen – später im Jahr, wenn sie in der Bergsonne gross und kräftig geworden sind: Das ist dann Wildsammlung – begleitet vom spannenden Wissen der sympathischen Kräuterfrau – 100 Prozent lecker, 100 Prozent nachhaltig.
Das Naturschutzzentrum öffnet nach einem Jahr Renovierung seine Pforten
Seit über 40 Jahren beherbergt die Villa Cassel das erste alpine Umweltbildungszentrum der Schweiz. Den Besu-cher erwarten eine spannende naturkundliche Ausstellung, ein hübscher, artenreicher Alpengarten, sowie eine Vielzahl an Exkursionen und Erlebnisangeboten – für Gross und Klein.
Die Highlights der kommenden Saison:
– Wiedereröffnung des Zentrumsbetriebes am 12.Juni 2020
– Casselfest am 9.August 2020
– Herbstbrunch am 6.September 2020
– Spannende Exkursionen und Erlebnisangebote, z.B. «Yoga in der Natur»
– u.v.a.m.
www.pronatura-aletsch.ch
Casselfest am 9.August 2020: Sir Ernest Cassel lud jedes Jahr die einheimische Bevölkerung zu Speis, Trank und Tanz vor seine Villa. Die Tradition lebt weiter! Bis heute treffen sich Einheimische und Gäste der Region zum le-gendären Casselfest mit grossem Rahmenprogramm.
Übernachten in der Villa Cassel: In den geschichtsträchtigen Ferienzimmern der prächtigen Fachwerk-Villa zu übernachten, hat einen ganz eigenen Charme. Den Luxus erzeugen hier das historische Ambiente, die Reduktion auf das Wesentliche, der alte herrschaftliche Geist und die atemberaubende Lage. Die Übernachtung im Doppel-zimmer – mit Badezimmern im Flur – kostet pro Person ca. 115 Euro inklusive Vollpension. Auf den Tisch kommen Spezialitäten aus der Region und hausgemachte Kuchen.
ÜBER DIE ALETSCH ARENA
Autofreie Bergregion mit spektakulärer Kulisse
Die Aletsch Arena im Kanton Wallis ist Teil des UNESCO-Welterbes Swiss Alps Jungfrau-Aletsch und gilt als be-sonders schützenswert. Zur Aletsch Arena gehören die idyllischen autofreien Bergdörfer Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp (2000 m ü. M.) sowie Ried-Mörel,, Greich, Goppisberg, Martisberg und Betten-Dorf auf halber Höhe gelegen, und die charmanten, historischen Talorte Mörel, Lax und Fiesch und Fieschertal. Es warten 300 Kilometer ausgeschilderte Wanderwege vor der Kulisse des imposanten Aletschgletschers, dem Grössten der Alpen, und 40 Viertausendern.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz
Längst ist der Tourismus wichtigste Einnahmequelle der Region, doch der Naturschutz bleibt dabei keineswegs auf der Strecke. Immer wieder schneidet die Aletsch Arena hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltschutz mit Bestnoten ab. So verzichten die Walliser Bergdörfer nicht nur komplett auf Autoverkehr, alle Bergbahnen in der Region werden auch ausschliesslich mit erneuerbarer Energie betrieben. Und weil das Umweltbewusstsein der Gäste wächst, steigt auch die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten. So suchen immer mehr Urlauber gezielt nach autofreien Orten, in denen sie genau die Ruhe finden, die ihnen im Alltag fehlt. Die Schweiz ist hier klarer Vorreiter. Und dennoch haben auch hier autofreie Ferienregionen in den Bergen Seltenheitswert. Seit 1988 steht die Gemeinschaft der neun autofreien Tourismusorte in der Schweiz für eine naturnahe Ferienphilosophie. Ziel ist es, dem Urlauber einen hohen Erholungswert zu bieten, und deshalb bleiben Autos draussen bzw. unten.
Gletscherfreundliche Anreise
Wir alle wissen, dass der Gletscher durch den Klimawandel bedroht ist. 2090 wird es, so haben Forscher berechnet, nur noch einige kleine Reste des heute noch so eindrucksvollen Aletschgletschers geben – wenn die Erder-wärmung fortschreitet wie bisher. Die autofreie Aletsch Arena eignet sich bestens für eine Anreise mit Bus und Bahn: Der Zielbahnhof liegt direkt im Bergbahn-Gebäude.
Das neue, moderne Bahnhofsgebäude vereint Zug- und Bus-Terminal und bietet einen komfortablen, direkten Zugang zur neuen 10er Gondelbahn hinauf auf die Fiescheralp. Das Jahrhundertprojekt der Region verspricht den Gästen einen grossen Mehrwert, für eine klimafreundliche Anreise mit dem öffentlichen Verkehr.
Mehr Informationen unter www.aletscharena.ch.
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