Das maskierte Glück im post-pandemischen Sommerurlaub
- Juni 24, 2020
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Nach dem Wachkoma ist vor der Wiederauferstehung. Beim touristischen Restart liegt ein Nebel der Ungewissheit und der Unwissenheit über allen, den Touristiker nur mit langem Atem, mit strategischer Kreativität und ja: mit experimentellem Mut durchtauchen können. Dieses Jahr wird für die meisten Destinationen ein Tal der Tränen (aber auch ein Trainingslager für Resilienz), da nützt es wenig, die rosarote Brille aufzusetzen: Schweiz Tourismus etwa (dessen Werbekampagnen Wettbewerber oft blass aussehen lassen, aktuell soll eine mehr als 50 Millionen Franken schwere Marketingkampagne internationale Gäste ins Land locken) rechnet bereits für den Herbst (sic!) wieder mit Touristen aus den USA! Aber hallo Züri, schön wär’s!
Marketing muss trommeln, schon klar. Aber noch nie galt der Grundsatz Märkte sind Gespräche (Cluetrain Manifest) so sehr wie jetzt. In diesen verstörenden Zeiten geht es m.A.n. zuallererst um Empathie, um Zuhören, und erst dann ums Verkaufen. Was bewegt die Kunden in ihrem Innersten, wonach sehnen sie sich?
Was bewegt die Kunden? Ängste. Sorgen. Und der dringende Wunsch nach Zerstreuung eben dieser Sorgen.
Vergessen wir nicht, dass „da draußen“ die größte Rezession seit den 1920ern anrollt (für die Eurozone prognostiziert der IWF einen Wirtschaftseinbruch von -7,5% für 2020, dann geht’s wieder nach oben). Dass die Arbeitslosenzahlen in ganz Europa dramatisch ansteigen (noch wird die Statistik durch Kurzarbeit abgefedert) und breite Teile der Bevölkerung einen Wohlstandsverlust erleiden werden. Vergessen wir nicht, dass da draußen, jenseits der Maske, ein Virus lauert, gegen das es – wenn überhaupt – nicht vor Mitte 2021 einen Impfstoff geben wird. Noch nie haben wir die eigene Verletzlichkeit so stark gespürt wie jetzt – als Einzelner wie als Gesellschaft. Wer will da verreisen, wer kann verreisen? (45% der Deutschen beispielsweise, wollen derzeit noch abwarten, 29% haben dieses Jahr vor, überhaupt nicht zu verreisen, Quelle: BZT/GfK)… Und welche Sehnsüchte spannen sich da auf?
Urlaub ist motivpsychologisch immer auch „wiedergegebene Zeit“ (Valentin Groebner) – man holt sich das zurück, was einem der Alltag vorenthält. Da einem in der Quarantäne nun wochenlang die Freiheit vorenthalten wurde, das ungezwungene Leben, die Lebensfreude…. spürt man jetzt diesen Gefühlen umso stärker im Urlaub nach. Man sehnt sich nach Bewegung in der Natur – Bikes werden wie verrückt gekauft, Wanderausrüstung. Endlich raus ins Freie. Aber noch ist da dieses Distancing. Man geht mit einer erhöhten Aufmerksamkeit, mit angespannten Sinnen durch die Welt, überall könnten virale Risiken lauern – Menschenansammlungen, Haltegriffe usf. Soziologen sprechen von einer „Choreographie der Angst“. Die meisten Menschen fühlen sich, seit Corona, im öffentlichen Raum unsicher, Nähe und Distanz zu anderen Menschen müssen stets neu austariert werden.
Die touristische Reise des Kunden muss daher durch die epidemiologische (Sorgen-)Brille gesehen werden, Covid-19 wird uns ja noch länger in unterschiedlichen Phasen begleiten. Das Leitmotiv in der Covid-Coexistenz-Phase heißt für Touristiker: kuratierte Distanz.
Abstands- und Hygieneregeln bestimmen die Ausgestaltung der Customer Journey, die gesamte Wertschöpfungskette muss Corona-sicher durch dekliniert werden. Touchless Service, berührungslose Exzellenz: Sensoren ersetzen Griffe, Plexiglas in Handel und Gastronomie sichert die Menschen vor einander. Betriebe erproben sich im agilen Besucher-Management, passen ihre Gäste-Frequenz gesetzlichen Vorgaben an. Die Besucher-Limitierung via App wird zur Norm, ob am Strand, im Bike Park oder im Museum. First come, first serve. Künstliche Intelligenz (Predictive Analysis) sorgt für smarte Gästelenkung im ÖPNV, in Einkaufsstraßen und in der Gastronomie. Aus dem Destination Management wird ein Visitor Management, das Risiken minimiert und dem Gast gleichzeitig Erlebnisqualität garantiert.
Distancing befeuert auch das Produkt-Design: vom Early Bird-Paket auf dem Balkon statt dem gestrichenen Frühstücksbuffet im Hotel, von den Kunststoff-Bubbles, welche – im 1,5 Meter-Abstand – Familien am Strand der Voralpenseen in Norditalien beherbergen bis hin zu den Plexiglas-Glocken, unter denen urbane Performer in Szene-Lokalen europäischer Städte dinieren werden. Ja, und wer wirklich viel Geld ausgeben will, der mietet sich eine der schwimmenden Premium-Plattformen vor der Küste Ischias: maximal zwei Personen können sich dort in sicherer Distanz zu den anderen Urlaubern sonnen. Luxus 2020 = Distanz.
Ein spannendes Projekt hat das Salzburger Design-Studie Precht mit seinem „Parc de la Distance“ vorgelegt – es integriert die Regeln des Physical Distancing in das Landschafts-Design: Besucher durchlaufen – in sicherer Distanz zu einander – einen labyrinthartigen Landschaftspark, der in Spiralen auf das Zentrum, einen Brunnen (=Leben) zuläuft…. Eine meditative, melancholische Adaption eines japanischen Zengartens.
Wir sehen ihn vor uns, diesen postpandemischen Urlauber, wie er durch diesen Parc de la Distance flaniert, bewaffnet mit Corona-Kit (Maske, Desinfektionsmittel, Immunitätsausweis), wir sehen eine Urlauberfamilie an der Adria, in einer EU-zertifizierten „coronavirusfreien Familienzone“ (ein Schnäppchen, die Anreise wurde vom italienischen Tourismus-Ministerium gesponsert, dafür muss man bei jedem Strandbesuch durch einen Tunnel, in dem man mit Desinfizierungsmittel besprüht wird)…
Ja, sicher fühlen sie sich, unsere post-pandemischen Urlauber. Aber jetzt wollen sie nur noch die Maske fallen lassen. Das Naturschöne rundum genießen, die Distanz zu den Alltags-Sorgen. Sommerurlaub 2020 heißt Reduktion: das stille Glück der Ereignislosigkeit.
Gastbeitrag von: www.tourismusperspektive.com
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