Obwohl im frühen Mittelalter viele Bauwerke entstanden, ist der St. Galler Klosterplan die einzige überlieferte Architekturzeichnung dieser Zeit. Noch vor dem Jahre 830 auf der Insel Reichenau gezeichnet, liegt der Plan heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen auf.
Der über 1.200 Jahre alte Klosterplan ist sicherlich ein Highlight der St. Galler Stiftungsbibliothek, denn nicht nur der Plan selbst, sondern auch seine Präsentation ist einzigartig: Um das kostbare, aus Schafshäuten gefertigte Pergament und die Tinte zu schützen, wird es inmitten eines dunklen Raumes unter einer von einem 3-D-Modell des Planes gezierten Platte aufbewahrt. Nur alle 15 Minuten hebt sich diese Platte und die sich darunter befindende Kostbarkeit wird für wenige Augenblicke beleuchtet, bevor sie wieder in der Dunkelheit verschwindet. Dass der Plan überhaupt bis heute erhalten blieb, ist dem Zufall zu verdanken: 400 Jahre nach seiner Fertigung verwendete ein Mönch seine Rückseite dafür, das Leben des heiligen Martin niederzuschreiben – nur dank dieser Martinsgeschichte wurde er aufbewahrt, verwirklicht allerdings nie. Zumindest nicht im Mittelalter.
Auch nicht in St. Gallen, sondern etwas näher an seinem Erschaffungsort, der Insel Reichenau, beteiligt sich nun seit 2012 eine Vielzahl an freiwilligen Helfern an der Umsetzung eines auf dem Klosterplan basierenden Campus. Dem «Campus Galli», in Messkirch, Deutschland. Hier können Besucher hautnah in die Geschichte des Planes und derer des Mittelalters eintauchen und erhalten tiefe Einblicke in die Architektur und das Handwerk jener Zeit. Neben Scheunen und Gärten wurden hier bereits eine grosse Kirche und ein Glockenturm erschaffen. Alles im mittelalterlichen Stil und nur mit den Mitteln, die damals zur Verfügung standen. Viele der freiwilligen Mitarbeiter haben einen Hintergrund als Schreiner, Zimmermann, Landwirt oder Gärtner. Da die tägliche Auseinandersetzung mit dem Handwerk des Mittelalters jedoch ständig neue Fragen aufwirft, wird eng mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet, um eine mittelaltergetreue Arbeitsweise zu ermöglichen. Natürlich wird im «Campus Galli» nicht nur gearbeitet wie im Mittelalter, sondern auch entsprechend gegessen: Im mittelalterlichen Freilicht-Restaurant können sich hungrige Besucher an Linsensuppe, Flammkuchen und Würsten stärken. Da es auf der Mittelalterbaustelle stetig vorangeht und kein Tag wie der andere ist, eignet sie sich besonders gut für regelmässige Besuche mit der ganzen Familie.
Nice to know:
Der originale St. Galler Klosterplan kann in der Stiftsbibliothek St. Gallen jeweils montags bis sonntags von 10:00 bis 17:00 Uhr betrachtet werden.
Die auf dem Plan basierende Mittelalterbaustelle «Campus Galli» ist 2020 ab dem 1. April bis zum 1. November, von Dienstag bis Sonntag, 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet.
Comments are closed.